SPD Ettlingen

Die zaristische Sowjetunion – Putins neues Russland

Veröffentlicht am 24.08.2014 in Reden/Artikel

Царская Советский Союз – Tsarskaya Sovetskiy Soyuz

 

-Die zaristische Sowjetunion – Putins neues Russland-

 

 

Sicherlich kennen einige das Gedicht „Nachtgedanken“ von Heinrich Heine, und auch wenn er mit diesem Gedicht seine unendliche Sehnsucht nach Deutschland in Worte fassen wollte, so kann man durch eine Abwandlung der ersten Strophe durchaus meine Sicht über Russland lyrisch zusammenfassen:

 

Denk ich an Russland in der Nacht, 
Dann bin ich um den Schlaf gebracht, 
Ich kann nicht mehr die Augen schließen, 
Und meine heißen Tränen fließen.

 

In jüngster Zeit werden wir von einer Schlagzeile nach der anderen überschüttet, wenn es um die Krise in der Ukraine geht. Aus der anfänglichen Krimkrise ist längst ein Vorabend des Bürgerkrieges geworden und der kleinste Funke kann das Pulverfass zum explodieren bringen – Sarajevo 1914 lässt grüßen.

 

Es geht mir mit meinem Bericht nicht so sehr darum zu urteilen, ob der „Westen“, wer auch immer das eigentlich sein soll, einen Fehler gemacht hat, sondern meinen Blick viel mehr darauf richten, warum Russland handelt, wie es handelt und welche zunehmenden Aggressionen dahinterstecken.

 

Nachdem unter vielen Linken der Antiamerikanismus seit Urzeiten en vogue ist, hat sich selbst in dieser Krise eine Haltung eingestellt, die ich als überzeugter Sozialist nicht gut heißen kann. Denn im Wahn ständig und überall die Verantwortung und Schuld der USA und des „Westens“ zu sehen, wird der größte Feind des Sozialismus, nämlich der Imperialismus, nahezu auf Rosen gebettet, beschönigt.

 

Was hätte wohl Rosa Luxemburg dazu gesagt, wäre die damalige SPD liebevoll auf das russische Zarenreich zugegangen und hätte die Generalmobilmachung im Balkan unter dem Hinweis des Selbstbestimmungsrecht der Völker gut geheißen?

 

Was würde Rosa Luxemburg heute dazu sagen, wenn sie mitbekommen würde, dass gerade jene, die glauben in ihrem Namen Politik zu machen, ein reaktionäres, faschistoides und diktatorisches Regime in Schutz nehmen? Denn nichts anderes ist Russland unter Putin geworden.

 

Machen wir einen kleine Zeitreise in die Anfänge der 90er Jahre. Deutschland, nach über 40 Jahren der Teilung, feiert seine Einheit, eingebettet in einem friedliebenden Europa, das vereinte Deutschland, Nachbar unter Freunden. Gleichzeitig befindet sich eine Supermacht im Osten im freien Zerfall.

 

Die Sowjetunion, zusammen mit ihren einstigen Sattelitenstaaten, das größte Herrschaftsgebiet in der Geschichte der Menschheit, war von Korruption, Alkoholismus, Schattenwirtschaft und gnadenloser Ineffizienz befallen, während gleichzeitig der Nationalismus in den einzelnen Unionsrepubliken aufflammte. Ein Nationalismus, der 70 Jahre durch die herrschende Ideologie konserviert wurde.

 

Während Gorbatschow in den westlichen Ländern für seine Leistungen immer noch gefeiert wird, so gilt er in seiner Heimat als Totengräber des Riesenreichs. Sein Ziel, die Union zu retten und zu erneuern kam der Quadratur des Kreises nahe zumal er selbst die Ökonomie seines Landes nicht verstanden hat.

 

Für die Russen war er jedoch ein Verräter an der Nation, derjenige, der dem Westen Tür und Tor geöffnet hat, derjenige, der im Wettrüsten unterlag. Wie sollten sie es auch anders wahrnehmen können?

 

Nachdem die herrschende Ideologie Jahrzehnte lang den Menschen die Überlegenheit ihres Gesellschaftssystems propagierte und gleichzeitig kein neues individuelles Denken erlaubte, konservierte sie das nationale Bewusstsein der Russen auf dem Stand von 1917. Übrigens geschah diese Konservierung in sämtlichen Ländern des Ostblocks, das sollte man im Hinterkopf behalten, denn vielleicht mag das auch ein Grund sein, warum genau jene Länder bis heute mit einem starken rechten Sektor zu kämpfen haben, selbst wir in den neuen Bundesländern.

 

An Weihnachten 1991 trat Gorbatschow letztendlich als erster und letzter Präsident der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zurück, die Rote Fahne am Kreml wurde eingeholt, die Fahne des russischen Kaiserreichs gehisst. Ein Land, von keiner Armee der Welt geschlagen, hörte einfach auf zu existieren und die Zeit des Elends begann erst.

 

Boris Jelzin war wohl der unfähigste Präsident, der den Russen je zugemutet werden konnte, aber sie hatten ihn frei gewählt und waren stolz darauf. Doch unter ihm, verfiel das Land zusehends, wurde einstiges Volkseigentum verscherbelt und neuen Oligarchen überreicht, wurde ein gnadenloser Transformationsprozess der russischen Wirtschaft eingeleitet, von dem sie sich nie erholt hat. Bis heute hat kein Land der einstigen UdSSR wieder seine Wirtschaftskraft von 1990 erreicht – die Ukraine erreicht derzeit 60% der Wirtschaftsleistung der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik von 1990.

 

Dies war ein Trauma für die russische Bevölkerung, war aber in der Geschichte nicht beispiellos. War es nicht auch Deutschland, welches von Nachbarn gehasst, den Weg der Versöhnung nach der Stunde Null gegangen ist und den Völkern die Hand reichte?

 

Ein Land, welches mit seiner systematischen Vernichtung von Volksgruppen eine gigantische Schuld auf sich geladen hat, isoliert und wirtschaftlich am Boden lag? Nur wenige Jahre nach Gründung der BRD erreichte diese wieder den wirtschaftlichen Vorkriegsstand und zeigte sich als verlässlicher, vertrauensvoller Partner.

Russland hingegen wollte niemandem die Hand reichen, war mit sich selbst beschäftigt. Gorbatschows Traum von einem Haus Europa wurde nicht mehr vom neuen Russland geteilt. Es wäre so wichtig gewesen zu seinen ehemaligen Unionsrepubliken und Nachbarländern Signale des Vertrauens zu senden, Signale der Zusammenarbeit, aber sie blieben aus.

 

Oft wird der EU und der NATO vorgeworfen mit ihrer Ostausdehnung bestehende Verträge gebrochen zu haben. Da sei es doch kein Wunder, wenn Russland sich ausgegrenzt fühlte und nun heute so reagiere. Fakt ist, dass es solche Verträge und Versprechungen nie gegeben hat, im Gegenteil, es wurde allen Ländern freigestellt über ihre Bündniszugehörigkeit zu entscheiden, auch von russischer Seite.

 

Kein Land wurde in die EU oder die NATO gezwungen, sie entschieden sich aus freier Überzeugung zu diesem Schritt. Nun, mit dem Wirken Russlands unter Putin, zeigen diese Länder eine unglaubliche Freude daran, damals diesen Schritt gegangen zu sein. Selbst Serbien, einstig unter russischer Schutzmacht, drängt es in die EU, weg von Russland, weg von seinem Imperialismus.

 

Russland hat die wirtschaftliche und geistige Wende nicht geschafft, im Gegenteil, es fällt zurück in zaristische und faschistische Zustände. Russland ist heutzutage kein Land mehr, auf das man als Demokrat stolz sein könnte, noch weniger als Sozialist. Putin ist der neue Zar im Kreml und macht daraus kein Geheimnis. Er lässt den alten Nationalismus wieder aufleben, sichert die Macht der Oligarchen, scharrt den einstigen Adel um sich und lässt Land und Volk verderben. Während zu Zeiten der Sowjetunion zumindest halbwegs für eine gerechte Verteilung des Volkseinkommens gesorgt wurde, ist in Russland eine krasse Oberschicht entstanden, die sämtliche Macht in den Händen hält. Die Gewaltenteilung wurde faktisch abgeschafft, Putin spricht Recht, die Medien wurden gleichgeschaltet und unter die Kontrolle des Kremls gestellt. In der Staatsduma regiert das „Einige Russland“ als KPdSU 2.0. mit seinen Blockflöten.

 

Wie sehr die Restauration vorangeschritten ist, zeigt auch die seit dem Ende der Sowjetunion wieder aufgeführten Mai-Kundgebungen auf dem Roten Platz in Moskau. Während aber zu Zeiten der Sowjetunion am 01. Mai die Einheit des internationalen Proletariats hochstilisiert wurde, hätte die Veranstaltung auch wunderbar nach Berlin des Jahres 1936 gepasst, mit Putin als Führer. Er ist dabei aus Russland eine zaristische Sowjetunion zu machen, keine sozialistische!

 

Sein Traum das Russische Reich in den Grenzen vor Ausbruch des ersten Weltkriegs wieder auferstehen zu lassen, ist ungebremst. Hierfür dient auch seine „Eurasische Union“, nichts weniger als der Klub der Oligarchen.

 

Hätte das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU das Land auseinander gerissen? Keineswegs, denn das Abkommen hätte der Ukraine nicht verboten auch Verträge mit Russland zu schließen oder gar Mitglied der Eurasischen Union zu werden. Im Gegenteil hätte aber die Mitgliedschaft in der Eurasischen Union der Ukraine jegliche Beziehungen zur EU verboten. Bis auf die baltischen Staaten hat sich der russische Einflussbereich längst wieder auf die alten Grenzen ausgedehnt, die Ukraine stellt hierbei ein unbequemes Hindernis dar. Ein Bürgerkrieg muss im Sinne Putins sein, denn dadurch kann er den Ostteil des Landes auf einfachste Weise seinem Reich einverleiben.

 

Kann man mit Diktaturen überhaupt noch diplomatisch zusammenarbeiten? Selbstverständlich, die EU macht dies ja selbst mit Ländern wir Saudi-Arabien oder China, im Gegensatz zu Russland streben diese jedoch keine imperialistische Expansion an.

 

Das neue Russland unter Putin ist ein Gigant auf tönernen Füßen, das weiß er selbst, denn indem er außenpolitisch die Muskeln spielen lässt, kann er die verfallenen Zustände im Inneren seines Reiches verdecken. Die Achillesferse Russland ist der Ölpreis, welcher den Gaspreise beeinflusst. Solange der hoch genug ist, kann Russland seine Ausgaben für Hof und Heer decken. Fällt er aber, so wird das Land an den Rand des Staatsbankrotts gedrängt werden. Was dann mit Russland geschieht, will ich mir nicht vorstellen.

 

Vielleicht ist Putin aber auch nur der Gejagte seiner eigenen Politik, frei nach Martin Luther „hier stehe ich und kann nicht anders“. Sein Schicksal wird das Russlands sein. Ein demokratisches Russland wird ihm jedenfalls zum Verhängnis werden.

 

Patrick Diebold – Juso AG Ettlingen

 

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Kommentare

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Ein paar Kommentare

Die Grundannahme, dass Putin eine Art neuer Zar ist, teile ich durchaus; allerdings übertreibt der Artikel meines Dafürhaltens. Wenn etwa ziemlich weit am Anfang "der Westen" dem Imperialismus entgegengestellt wird, klingt das beinahe, als wäre dieser Westen nicht selbst imperialistisch. Auch stellt sich die Frage, wie friedliebend ein Europa gewesen sein kann, das nur wenig später Bomben auf Belgrad und Tripolis warf sowie Krieg in Afghanistan und im Irak führte. Drittens: Selbst, wenn es keine derartigen Versprechungen geben würde, stellt sich immer noch die Frage, ob es klug und moralisch richtig ist, immer näher an Russland heranzurücken. Zuletzt halte ich den Begriff "faschistisch" für Russland übertrieben, und das "zurück" wirft die Frage auf, wann Russland denn je faschistisch war.

Autor: Ralph Petroff, Datum: 05.11.2014, 20:22 Uhr


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